Die Weizenfelder, die Sonnenblumen, die Äste und Blätter der Bäume, das Licht, das sie durchflutet und durchdringt: Vincent van Gogh schaut, atmet und saugt die Landschaft ein, mit seinen Blicken, seinem Gehör und durch seine Haut, erspürt sie mit jeder Faser seines Körpers. Selten ist der Maler so eins mit sich und der Welt um ihn herum wie in diesen Momenten, die der Kameramann Benoît Delhomme auf so sinnlich unmittelbare Weise einfängt, dass man als Zuschauer fast das Gefühl hat, dasselbe zu fühlen wie der Künstler.

Genau darum ging es Julian Schnabel mit seinem neuen Film Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit: "Wir machen keinen Film über van Gogh, sondern einen Film, bei dem Sie das Gefühl haben, van Gogh zu sein, in dem Sie sozusagen in seinen Schuhen laufen, und das tun Sie tatsächlich, weil wir Benoît nach Schottland geschickt haben, um dort seine Füße zu filmen, die durch Weizenfelder laufen, die es zu dieser Jahreszeit in Frankreich nicht gab. Ich sagte zu ihm: 'Filme nicht so, als ob du etwas filmst, sondern filme, was du siehst! Mach die Kamera zu seinen Augen!'" Selbst seinen Hauptdarsteller Willem Dafoe hat Schnabel auf diese Weise manchmal drehen lassen, was er sah.

Rund vierzig Filme wurden bereits über van Gogh gedreht, mehr als über jeden anderen Künstler. Dass van Gogh Autoren und Filmemacher so nachhaltig beschäftigt, hat in Schnabels Augen vor allem mit der besonderen Verbindung von Genie und Wahnsinn zu tun: "Der Künstler als verrücktes Genie, das Drama eines Mannes, der Selbstmord begeht: Ein Film braucht Konflikte, und da gibt es natürlich viel mehr, als bei einem erfolgreichen Künstler, der keine Probleme hat." Dennoch habe er in den Drehbüchern, die er über das Leben van Goghs zu lesen bekam, "immer denselben Mist" zu lesen bekommen: "Da gibt es eine Explosion im Kopf, einen Traum, einen Albtraum, und dann, zack, das fertige Bild." Julian Schnabel ist berüchtigt dafür, zu Interviews in Seidenpyjama und Bademantel zu erscheinen, doch mit den Jahren wird er ruhiger, zurückgenommener, trägt jetzt einfach weiße Jeans und Sweatshirt, graue Spuren in Haar und Bart. Die feingliedrigen Hände, die man auch im Film gelegentlich sehen kann anstelle der ähnlich zarten von Willem Dafoe, unterstreichen das Gesagte hier und da, wenn Schnabel seine Gedanken weiterspinnt: "Es scheint den Menschen schwerzufallen, einen Film über einen Künstler zu machen, wahrscheinlich, weil die meisten Leute nicht wissen, was es bedeutet, ein Maler zu sein."

Dass dieser Film jetzt ganz anders aussieht, hat in erster Linie damit zu tun, dass zum ersten Mal ein Maler über einen Maler erzählt. Denn Julian Schnabel war schon viele Jahre lang ein äußerst erfolgreicher bildender Künstler, bevor er vor gut 20 Jahren zum ersten Mal als Regisseur die Lebensgeschichte eines Malerkollegen erzählte, die des Künstlers Jean-Michel Basquiat. Schnabel war selbst Teil der Szene, von der er damals erzählte, konnte sich also entsprechend natürlich und ungekünstelt darin bewegen. Und es gelang ihm auf überzeugende Weise, die innere Welt des Künstlers zu evozieren, in dessen Leben die Kunst allgegenwärtig war. Jede Häuserwand hatte Basquiat in einen Malgrund verwandelt, den Tisch im Diner mit Ahornsirup bemalt, einen Stapel Autoreifen oder das Kleid der Freundin mit Farbe und Formen bearbeitet.

Kann ich mit dem Grünton leben?

Natürlich war es kein Zufall, dass Schnabel schon in Basquiat all die Fragen verhandelte, die auch ihn selbst als Künstler betreffen: der beleidigende Entschlüsselungswahn der Kritiker, die enervierende Oberflächlichkeit von Sammlern, die sich fragen, ob sie mit dem grünen Farbton leben könnten, die künstlerische Integrität angesichts kommerziellen Erfolgs. In Van Gogh beschäftigt Schnabel sich nun mit einem Maler, der zu Lebzeiten nur ein einziges Bild verkauft hat, seine Kunst aber trotzdem unablässig verteidigen musste, weil er seiner Zeit schlicht voraus war:  "Vielleicht hat Gott mich zu einem Maler gemacht für Menschen, die noch gar nicht geboren sind", sagt dieser van Gogh einmal im Film. Die Eigenständigkeit seiner Bilder gegenüber der realen Welt verstörte viele seiner Zeitgenossen, häufig wurden seine Gemälde als hässlich empfunden. Dass man sich als Künstler gegen die Forderungen des Marktes und die Verführungen des Geldes wappnen muss, ist Schnabel nicht fremd: "Man muss seine Autonomie wahren, man darf sie für nichts opfern, egal wie viel Geld einem jemand gibt. Wenn man das einmal getan hat, ist es vorbei. Ich bin niemals Kompromisse eingegangen, und ich kenne nicht viele Leute, die das wirklich sagen können", sagt der 1951 in Brooklyn geborene Künstler.

Während Schnabel als Maler den Künstlerfürsten mit übergroßem Ego gibt, der riesige Leinwände mit Besen und Schrubbern bearbeitet, wirkt er als Regisseur erstaunlich zurückhaltend, geradezu bescheiden und sehr einfühlsam: "Ich weiß nicht, woher alle das mit dem Ego nehmen. Man sagt ja auch nicht zu Martin Scorsese: 'Ihr Ego ist so groß.' Natürlich muss er als Künstler leidenschaftlich brennen – das ist doch etwas Gutes! Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber die Leute sind überrascht, wenn sie mit mir reden, und sagen dann: 'Sie wirken gar nicht wie der Mann, als der Sie immer beschrieben werden', und das ist vermutlich mein Fehler. Aber die Kunst ist nicht identisch mit dem Leben. Van Gogh sagt im Film: 'Ich bin meine Bilder.' Und ich bin mein Film. Wobei ich sagen muss: 'Wir sind unser Film', denn nicht nur ich habe ihn gemacht. Nur Bilder mache ich alleine."